Weshalb Prüfungen nicht objektiv sind
Jedem Beurteilenden können typische Beurteilungsfehler unterlaufen. In Bezug auf Mitarbeiter-Beurteilungen wurden sie sehr gut untersucht. Die häufigsten davon sind in der Folge aufgelistet und aufgezeigt, inwiefern sie sich auch auf die Beurteilung von Prüfungen in der Schule/Erwachsenenbildung auswirken.
Halo-Effekt (Hof-Effekt)
Der/die Beurteilende lässt sich von Primäreigenschaften (z.B. Temperament, Aussehen, Charakter) zu einem vorschnellen Urteil über die gesamte Leistung verleiten.
In der Prüfung prägt oft der erste Eindruck die nachfolgenden Beurteilungen oder ein besonders gutes oder schlechtes Leistungsmerkmal „überstrahlt“ die anderen Leistungen.
Kontrast-Effekt
Die Leistung wird in Abhängigkeit von der Leistung des gesamten Teams gesehen (eine mittlere Leistung wird in einem insgesamt sehr guten Team als schlechter wahrgenommen als in einem schlechten Team).
Dieser Beurteilungsfehler passiert sehr oft, wenn man als Lehrperson einen Klassensatz Prüfungen hintereinander korrigiert. Die Arbeiten werden am Niveau der ersten gemessen.
Hierarchie-Effekt
Höher eingestufte Mitarbeitende werden im Durchschnitt besser bewertet als Mitarbeitende der unteren Hierarchie-Ebenen.
Lehrpersonen neigen dazu, Prüfungsarbeiten von sozial höher gestellten Personen als besser einzuschätzen als Arbeiten von sozialen Randgruppen-Mitgliedern.
Projektionsfehler
Sympathie oder Antipathie. Menschen, mit denen wir etwas gemeinsam haben, schätzen wir positiver ein.
Prüfungsarbeiten der „Lieblingsschüler“ werden positiver bewertet als die Arbeiten von Problemfällen oder negativ auffallenden Personen.
Konformitätsdruck
Die Beurteilung wird an die Beurteilung anderer angepasst.
Nikolaus oder Recency-Effekt
Ereignisse kurz vor dem Beurteilungsgespräch wirken stärker auf die Beurteilung als Ereignisse, die länger zurückliegen.
Eine unmittelbar vorher bewertete schlechte Arbeit des Prüflings führt zu einer schlechteren Bewertung der aktuellen Arbeit. Oder eine sehr positive Leistung in den letzte Tagen lässt die aktuelle Arbeit besser erscheinen als sie ist.
Kleber-Effekt (auch: self-fulfilling-prophecy)
Ein guter Mitarbeiter bleibt tendenziell ein guter Mitarbeiter, ein schlechter Mitarbeiter bleibt ein schlechter Mitarbeiter.
Ein Prüfling wird so bewertet, wie man es von ihm erwartet.
Benjamin-Effekt
Je kürzer im Angestelltenverhältnis und je jünger, desto strenger wird beurteilt.
Neue und unbekanntere Prüflinge werden strenger beurteilt, als Prüflinge, die man bereits kennt. Nach dem Grundsatz „wer lehrt prüft“ werden die Kompetenznachweise erfahrungsgemäss positiver beurteilt.
Verwandte Beiträge und weiterführende Links
Link zur Psychologie der Mitarbeiterbeurteilung von Prof. Dr. Frank Dulisch